Festung KönigsteinWedekinds sechsmonatige Haftstrafe auf der Festung Königstein hatte am 21.9.1899 begonnen. Zu dem vorhergehenden Prozess wegen Majestätsbeleidigung in der „Simplicissimus“-Affäre vgl. Wedekinds Brief an Weinhöppel vom 27.7.1899., 2.XI.1899.
Herzliebster Freund,
Dir geht es also ausgezeichnet. Das freut mich. Und nun klagst Du schon über beginnendes Philisterium. Bis das bei Dir anbricht, kannst Du doch wol noch einige hundert Jahre warten.
Hier oben ist ein Wetter wie im siebten Himmel, eine Ruhe wie im Paradies und eine Küche, wie man sie in München nicht leicht findet. Dazu Bier, Wein, Schnaps, | kurz und gut alles was ein moderner Mensch zum Leben braucht, bis auf das ewig Weibliche und den Tabak. Der Genuß des ersteren ist streng verboten, wenn Du mir aber zur Befriedigung des anderen Gelüstes die Hand bieten wolltest, dann bitte ich Dich, inliegenden Zettelnicht überliefert. Der Text der Beilage – siehe unten – ist durch den Erstdruck des Briefs bekannt. zu einem Tabakladen zu bringen, der französische Zigaretten führt. Ein solcher ist in der Kaufingerstraße neben dem Pschorrbräuunklar. Das Pschorrbräu-Haus und seine Restauration waren seit 1820 in der Neuhauserstraße 11 ansässig. Gemeint ist hier vermutlich das Restaurant Bürgerbräu (Kaufingerstraße 6/0), in dessen unmittelbarer Nähe sich damals zwei Tabakgeschäfte befanden: August Leykam, Cigarrengeschäft, fürstlich bulgarischer Hoflieferant (Kaufingerstraße 3/0) und August Würzburger, Cigarren- und Tabakhandlung, Inhaber: Florian Klöch (Kaufingerstraße 8/0) [vgl. Adreßbuch von München für das Jahr 1900, Theil II, S. 291f.]. und ein anderer gegenüber dem Hoftheater, neben dem Café Hoftheater. Wenn ich einmal mit einem der beiden in Verbindung bin, dann helfe ich mir schon selber.
Ich danke Dir für Deine freundlichen Anerbietungennicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Weinhöppel an Wedekind, 1.11.1899.. Was Geld betrifft, steht es vor der Hand noch so gut mit mir, daß ich hoffe, mir einige, wenn auch nur kleine Ersparnisse zu machen. Ich danke dies in erster Linie Heine, der nach seiner Rückkehr nach MünchenDer Zeichner Thomas Theodor Heine, der wie Wedekind wegen Majestätsbeleidigung im „Simplicissimus“ verurteilt worden war, wurde bereits am 16.9.1899 aus der Festungshaft entlassen und kehrte nach München zurück. meine Stellung zum Simpl.Wedekinds Mitarbeit am „Simplicissimus“ ruhte seit Frühjahr 1899. Erst in den Jahren 1901/02 erschienen wieder vereinzelte Beiträge von ihm in der satirischen Zeitschrift. wieder arrangirt hat.
Ueber die Klatschereiennicht ermittelt. Vgl. bereits die Hinweise in Wedekinds Brief vom 27.7.1899. von seiten des Simpl. über mich war ich wol unterrichtet. Ich habe den Leuten auch vor 4 Wochen schon dringend gerathen, ihre Aussagen zu widerrufen, ich mag nur jetzt den Mund noch nicht zu weit aufthun, da ich immer noch pecuniär abhängig bin. Die Thatsache ist die, daß sich A. Langen mir gegenüber als ein – – – – – – – – – – – – – –Auslassung des Herausgebers im Erstdruck des Briefs. benommen hat. Das steht bombenfest und ist durch die Aussage seines eigenen RechtsanwaltsWedekind hatte bei seinem Prozess in Leipzig zu seiner Verteidigung u. a. erklärt, Albert Langen habe die inkriminierten Gedichte gegen den Rat von Justizrat Friedrich Rosenthal – dem Rechtsbeistand des „Simplicissimus“ – veröffentlicht. Rosenthal bewiesen, so daß ich es jeden Tag öffentlich erklären kann. Aber ich fange wie gesagt vor derhand noch keinen Streit an. Wenn ich nach München zurückkomme, werde ich die Leute eventuell bitten, eine Erklärung zu meinen Gunsten zu erlassen, sonst ziehe ich | Langen den letzten Fußbreit Boden weg, den er noch unter den Füßen hat.
Aber verzeih, daß ich Dich wieder mit meinen Conflicten behellige. Ich möchte nur nicht, daß Du etwa an mir zweifelst oder irre wirst.
Sage Miß B. bitte, daß ich für die angenehmen freundlichen WorteBezieht sich vermutlich auf eine Nachschrift von Stella Brockow zu Weinhöppels letzter Nachricht an Wedekind; erschlossenes Korrespondenzstück: Weinhöppel an Wedekind, 1.11.1899. herzlich danke und mich darauf freue, ihr in München meine Huldigung zu Füßen legen zu dürfen.
Was die Stimmung in München über mich betrifft, so erhielt ich vor acht Tagen eine Carte aus der American Barnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück Otto Erich Hartleben, Max Bernstein und Thomas Thedor Heine an Wedekind, 24.10.1899., mitten darauf, möglichst groß, Otto Erich Hartleben, darüber Heine, darunter Dr. Bernstein, dann noch einige langweilige Zöpfe und Zubehör. Der ganze Ausgang der Campagnehier im Sinne von: Feldzug. hängt für mich von meiner ArbeitGemeint ist das Drama „Ein gefallener Teufel“ – der spätere „Marquis von Keith“ –, das Wedekind nach seiner Flucht aus München begonnen und an dem er auch während der Haftzeit weitergearbeitet hatte. ab. Wenn die das wird, was sie werden soll, dann will ich alles alles alles segnen. Wenn nicht, dann habe ich eben wieder ein Jahr verplempert und dann ist es ja gleichgültig auf welche Weise.
Sei herzlich gegrüßt und im Voraus bedankt. Mit den besten Wünschen für Dein Wohlergehen bleibe ich Dein getreuer
Frank.
[Beilage:]
10 Päckchen französisch Cigaretten Caporal Élégantes roseseine französische Zigarettenmarke aus schwerem, dunklem Tabak (= Caporal). Die blaue Papiersorte entsprach normaler, die rote gehobener Qualität..
3 Pakete guten feingeschnittenen Varinas-Kanasterein besonders feiner Rauchtabak, der ursprünglich aus der Region Varinas (Bolivien) importiert wurde. für kurze Pfeife.
2. Bündel Oesterreichische Virginiadünne Zigarre aus Virginia-Tabak, in Österreich lange unter Monopol der Österreichischen Tabakregie hergestellt und vertrieben..
bitte gegen Nachnahme zu senden an
Herrn Frank Wedekind,
Festungsgefangener
Festung Königstein
Sachsen.