Rom, 15.III 1905
Lieber Frank
Deine ZeilenWedekinds Brief an Weinhöppel vom 8.3.1905, in welchem er Spannungen in der Freundschaft zu Weinhöppel eingegangen war und sich nach dem Verbleib seines Manuskripts „Bucolica“ (1881) erkundigt hatte. haben mich in doppelte Verlegenheit gebracht: Einmal, weil ich Deine Erörterungen in puncto Freundschaft nicht in der Weise erwidern kann, wie ich gern möchte – denn ich bin krank, sehr krank, 2.) weil ich Dir betreff der „Bucolica“vgl. Wedekinds Brief an Weinhöppel vom 8.3.1905. für den Augenblick keine befriedigende Nachricht | geben kann. Ich habe nämlich meine Sachen nicht alle nach Italien mitgenommen, in der Hoffnung, bald wieder nach M. zurückkehren zu können. Nun ist die Zahl meiner Manuscripte u. ähnlicher ++++ eine so ungeheuer große, daß ein Fremder sich nie u. nimmer darin zurecht finden würde.
Ich weiß, daß ich ein solches (blaues) Büchlein hatte u. oft mit Interesse las, aber ich kann nicht schwören, ob nicht sei|nerzeit Frieda St.Frida Strindberg hatte sich im November 1898 um die Nachsendung der in Müchen verbliebenen Habe Wedekinds in die Schweiz gekümmert [vgl. Weinhöppels Brief an Wedekind vom 20.7.1899]. dasselbe zugleich mit meinen kleinen novellisierten Skizzennicht ermittelt. Es handelt sich vermutlich um die „Erzählungen“, die Wedekind in seinem Brief an Weinhöppel vom 22.5.1899 erwähnt. mitnahm. Ich mag mich sehr irren: gleichviel, – wenn sie es nicht hat, ist es wolbehalten in meinem Besitz, u. d/D/u bekommst es so bald wie nur irgend möglich. Ich hoffe nur, daß die Sache nicht allzusehr eilt, – es wäre mir furchtbar leid, Dir nicht sofort geben zu können, wozu ich ja verpflichtet bin. – –
Ganz ohne Zögern gestehe ich, daß die Lücke D/d/ie Du in meinem Leben gelassen noch nicht | ausgefüllt ist u. auch wol nie auszufüllen sein wird. D. h. ich könnte den Begriff „eine Lücke lassen“ eigentlich sehr anzweifeln, denn – offen gestanden, – rechne ich mit Deiner Individualität, Deinem Künstlertum genau so, als ob wir persönlichen Contact hätten. Es ist aber eigentlich mehr eine Lücke am Biertisch, was allerdings für manche identisch ist mit Todfeindschaft oder, – wenn es nur die Verhältnisse sind, – mit ewiglicher sentimentaler Trauer. – Den persönlichen Contact mit Dir vermißte | ich weniger von dem Tage an, wo Du mich in den Staub der Alltäglichkeit herabzogst, u. mit mir zu experimentieren wagtest, genau, wie mit einem Henry, einem Lautensack!Der Hinweis auf Marc Henry und Heinrich Lautensack – beide Mitglieder der Elf Scharfrichter – erlaubt es die Anfänge der skizzierten Konflikte in Weinhöppels und Wedekinds gemeinsame Brettlzeit (1901 bis 1903) zu datieren. Meine Natur ist eine stolze, leidenschaftliche, u verzeiht eine Entwürdigung nicht so leicht. – Wohlan, laß jeden in seiner Facon selig werden, – oder zum Teufel gehen, – aber wir brauchen doch schließlich nicht auf Schritt und Tritt mitzugehen, weil wir „Freunde“ sind.
Ich bin vielleicht verdammt wenig, – so im | großen Ganzen, – aber für mich bin ich ein Künstler, u. vor allem ein Lebenskünstler. Ich genieße, selbst im Leib/d/en. Es ist nun für mich eine schwere, ernste Lebensfrage, ob derjenige, der mein Gefährte sein soll, – sei er sonst, wie er mag, – in sich keine Qualitäten und Gewohnheiten besitzt, die sich zu meinem Künstlerleben contrair verhalten.
Ich habe Dir einmal auf der Kegelbahn irgend einen Vorwurf gemacht, Indiscretion betreffend; – darauf antwor|tetest Du ungefähr: „Sieh, lieber Richard, – Discretion ist doch dasjenige im Leben, womit man am wenigsten rechnen darf“, – u. Du hattest leider sehr Recht, besonders, was Deine Person betrifft.
Das aber paßte mir nicht.
Ich will nicht zum Spielzeug einer Zunge werden, (wenigstens keiner männlichen) – ich will nicht, was ich in stiller Plauderstunde als künstlerisches Geheimnis dem Freunde mitgetheilt habe, am nächsten Tage mit trivialen Worten breitge|treten haben, – weil eben jener Freund – keine Discretion kennt! Ich kann ihn nicht dazu zwingen zu schweigen, – aber ich kann selbst schweigen. Ich habe geschwiegen, allerdings etwas spät.
Wenn aber einer mein ihm anvertrautes Gedanken- und Empfindungsleben, oder gar irgendwelche erotische Ereignisse, anderen preisgiebt, so will ich wenigstens den Rücken kehren. – Ein Verkehrsfreund aber kann derjenige, der mich wider meinen Wunsch preisgiebt, doch nie und nimmer sein.
Meine Auseinandersetzungen sind wol nicht so complet, wie ich wünschte, doch solltest Du wenigstens ein ungefähres Bild von meinem jetzigen Menschen haben.
Es grüßt Dich herzlich
Hans Richard