Deutsche Reichspost
Postkarte
An
Herrn Franklin Wedekind Schriftsteller
in München
Wohnung (Straße und Hausnummer)
Akademiestraße 21III |
Berlin W. Magdeburgerstrasse 11 Hof III
am 21. October 1889
Mein lieber Freund!
Da ich mich bis heute über meine verdammenswerte
Nachlässigkeit im Briefschreiben immer mit der Ausrede getröstet, ich wolle die
PremiereDie Uraufführung von Gerhart Hauptmanns sozialem Drama „Vor Sonnenaufgang“ durch den Verein Freie Bühne am 20.10.1889 im Lessingtheater in Berlin als Mittagsvorstellung brachte den Durchbruch des Naturalismus. von Gerhart Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang“ abwarten, um Dir die
schuldige Epistellängerer Brief. zu schreiben, so will ich heute vor allen Dingen Dein gedenken. Da ich aber anderseits gerade heute &
gerade in Folge der gestrigen Aufführung sehr beschäftigt bin, so mußt Du Dich
bis auf Weiteres mit diesem Kärtchen zufrieden geben. Also I. wir sind gesund
und vielfach tätig und hoffen dasselbe von Dir. II. Ich habe gestern der mit
starkem Krakehl verbundenen Aufführung des „Vor Sonnenaufgang“ beigewohnt. Das
Stück ist eine sehr talentvolle Scheußlichkeit. Ich schreibe eben an einem Aufsatz
darüber für die N.Z.Z.Eine mit dem Namen Heinrich Welti gezeichnete Besprechung der Uraufführung von Gerhart Hauptmanns Drama „Vor Sonnenaufgang“ ist in der „Neuen Zürcher Zeitung“, die zwei Aufsätze dazu brachte, nicht erschienen; vermutlich hat er sie unter dem Pseudonym Caliban (nach der Figur aus Shakespeares „Der Sturm“) veröffentlicht [vgl. Caliban: Berliner Arabesken. In: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 69, Nr. 301, 28.10.1889, 1. Blatt, S. (1-2); Nr. 302, 20.10.1889, 1. Blatt, S. (1-2)], vielleicht auch unter dem Pseudonym Hans Thunichgut [vgl. Hans Thunichgut: Berliner Streifzüge. In: Neue Zürcher Zeitung, Jg. 69, Nr. 323, 19.11.1889, 1. Blatt, S. (1-2)]. III.
Meine Wünsche auf Anstellung sind leider noch immer nicht erfüllt & so sehe
ich einem schweren Winter entgegen. Ich schreibe indessen wieder ein
ReclambändchenHeinrich Welti hatte in Reclams Universal-Bibliothek (Nr. 2421) als Band 9 der Reihe „Musiker-Biographien“ bereits eine Biografie Christoph Willibald Glucks veröffentlicht [vgl. Heinrich Welti: Gluck. Leipzig (1888)]., doch ganz im Geheimen. IV Emilien geht es ausgezeichnet; sie
hat jüngst die Gilda im RigolettoEmilie Herzogs Auftritt am 10.10.1889 als Gilda in Giuseppe Verdis Oper „Rigoletto“ war in der Presse angekündigt: „In der morgigen Aufführung des ‚Rigoletto‘ im Königlichen Opernhause wird Frl. Herzog zum ersten Male die Gilda singen.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 471, 9.10.1889, Morgen-Ausgabe, S. 8] mit großartigem Erfolg gesungen & auch
auf dem Concertpodium viel Beifall gefunden. V. Was treibst Du? Was macht Deine
Arbeit? Schade, daß Du nicht da bist, wir könnten zusammen ein Parodie Stück
etwa „Der hartnäckige Blasenkatarrh oder Die Heirat mit
Hindernissen“ im Ibsenstil oder à la Hauptmann: „Nach
Sonnenuntergang oder die Verwechslungen im Torusein Rotationskörper (in der Mathematik).“ schreiben. Hauptmann wurde ja
gestern ein ½ Duzzendmal gerufen!!! VI Zum Schluß, was zum Anfang stehen
sollte: Herzlichsten, besten Dank für Deine GastfreundschaftHeinrich Welti war während seines Kurzaufenthaltes in München (26.8.1889 bis 28.8.1889) täglich bei Wedekind zu Besuch. und viele Grüsse
von uns Beiden mit den besten Wünschen für Dein Wohlergehn und Deine Arbeit
Allzeit getreu Dein W.
Beste Grüsse auch an die KletzenbrühblaseAnspielung auf die Münchner Gastwirtschaft Zum Kletzengarten (Fürstenstraße 9), wo Heinrich Welti mit Wedekind dem Tagebuch zufolge am 26.8.1889 („Im Kletzengarten treffe ich Welti“, dem das „Kletzenbier [...] Sodbrennen gemacht“ hat) und 27.8.1889 („Welti und ich begeben uns in den Kletzengarten“) bis in die Nacht verkehrte. Da die ‚Brühblase‘ (eigentlich eine durch Verbrühung entstandene Blase auf der Haut) gegrüßt werden soll, dürften die Personen gemeint sein, die Welti und Wedekind dort trafen (vor allem Musiker).Anspielung auf die Münchner Gastwirtschaft Zum Kletzengarten (Fürstenstraße 9), wo Welti mit Wedekind dem Tagebuch zufolge am 26.8.1889 („Im Kletzengarten treffe ich Welti“, dem das „Kletzenbier [...] Sodbrennen gemacht“ hat) und 27.8.1889 („Welti und ich begeben uns in den Kletzengarten“) bis in die Nacht verkehrte. Da die ‚Brühblase‘ (eigentlich eine durch Verbrühung entstandene Blase auf der Haut) gegrüßt werden soll, dürften die Personen gemeint sein, die Welti und Wedekind dort trafen (vor allem Musiker).