Mondsee. 2.1./14.
Lieber
Herr Wedekind!
Ich bin gestern abends glücklich und zufrieden angelangtFriedrich Strindberg reiste am 1.1.1914 von seinem Weihnachtsbesuch in München zurück nach Mondsee; Wedekind notierte: „Bringe Fritz zur Bahn. Annapamela weint zum Abschied.“ [Tb]..
Den ersten Teil der Fahrt spürte ich entsetzlichen Hunger, so daß ich der
lieben gnädigen Frau sehr dankbar dafür bin, daß ich etwas mitbekam, das mich
zur Genüge sättigte. Unglücklicherweise verwandelte sich der leibliche Hunger
in einen geistigen und diese Leere dürstete nach einer Befriedigung, die mir
wieder die arme „Woche“„Die Woche“ war eine seit 1899 erscheinende illustrierte deutsche Wochenzeitschrift aus dem August Scherl Verlag Berlin. stillte. So kam ich nach Salzburg – daß das Leben eine
RutschbahnZitat aus dem Schlusssatz des „Marquis von Keith“: „Das Leben ist eine Rutschbahn ...“ [KSA 4, S. 228]. sei | mußte
ich deutlich, zu deutlich fühlen, so daß ich das wurde, was ich schon im Auto
war – sentimental und leider sehr. –
In Salzburg kam die Verzollung und die bairisch
österreichischen Beamten schienen mir viel freundlicher, da ich meinen Korb gar
nicht öffnen brauchte. Dann, um 5 33 gings weiter. Der kleine Wagen
war voll Rauch, so daß ich selbst nicht zu rauchen brauchte –
Eine ganz neue Annehmlichkeit überhob mich der doch
verflixt/trüben Abschiedsstimmung. Ich lebte mich völlig auf der Bahn in den
Gedanken ein, daß ich aus Salzburg käme, (und) der Weihnachtsabend erst vor der Tür stehe und
nächsten Morgen ich nach München käme. Und so verlief die Zeit in
wirklicher
Erwartung.
Großmama traf ich nicht ganz wohl, sie war halsleidend und
ich kam völlig unerwartet, da ich un|glückseliger
Weise vergaß, meiner Großmama eine 2 KarteEine Postkarte Friedrich Strindbergs an Marie Uhl ist nicht überliefert. mit meiner Ankunftszeit zu schicken.
Nun aber danke ich Herrn Wedekind nochmals und sehr, denn
nichts fühle ich deutlicher, als wal/s/ s/i/ch damals sagte – wegen dem Glück, das
einen langen Schatten wirftfür: sich noch lange auswirken, noch lange spürbar sein. und das, mag es auch nur kurz gewesen sein, doch
viel angenehmer wirkt, als wenn es nicht voh/r/handen gewu/e/sen
wäere.
Ich erinnere mich noch sehr und lieb an die schönen TageFriedrich Strindberg hatte Wedekind vom 23.12.1913 bis zum Neujahrstag 1914 in München besucht. Er unternahm mit seinem Vater zahlreiche Spaziergänge in München und Umgebung, besuchte verschiedene Lokale und ging zweimal ins Theater [vgl. Tb]. und
ich bitte Herrn Wedekind auch der gnädigen Frau meinen nochmaligen herzlichsten
Dank auszurichten.
Nun steht wieder das Leben vor der Tür und es heißt zu
lernen; nur wenige Tage noch und es beginnt die Schule! Bitte mir v
wieder nur nach Salzburg zu schreibenFriedrich Strindberg besuchte als Internatsschüler in Salzburg die private Lehr- und Erziehungsanstalt für Schüler der Mittelschulen im alten Borromäum., da ich in den nächsten D/T/agen
wieder dorthin abdamphenabdampfen, umgangssprachlich für: abreisen, abfahren. |
werde. Den „Triton“Friedrich Strindberg hatte das von ihm verfasste Stück seinem Vater am 26.12.1913 vorgelesen: „Fritz liest sein Drama Triton vor“ [Tb]. Der Entschluss, die Arbeit an dem Stück auszusetzen, geht auf eine Empfehlung Wedekinds zurück [vgl. Friedrich Strindberg an Wedekind, 17.2.1914]. aber, bitte Herr Wedekind noch hierher da zu schicken, da
er ruhen soll, begraben für die nächsten paar Jahre; bis ich ihn, das arme
Kind, wieder aus einem Winkel hervorzerre um zu sehen was gräßliches ich da
geschaffen.
Noch viele Grüße, bitte auszurichten an die lieben Kleinen, an Fanni
Kadidja und Anna Pamela
In dankbarer Liebe Fritz
Friedrich.
Großmama sendet einstweilen durch mich herzlichsten Dank bis
sie aus dem Bett, sich selbst bedanken kann. –