Meran.
Villa Aders.Die Pension Villa Aders mit der Kuranstalt Waldpark (Inhaber: Ferdinand Bauduin) in Obermais bei Meran war ein in einer Parkanlage gelegenes Domizil für anspruchsvolle Gäste. Unter den am „11. April“ 1905 „neuangekommenen Kurgästen“ war „Generalmajor H. v. Puttkamer (Grunewald)“ [Der Burggräfler. Meraner Anzeiger, Jg. 23, Nr. 29, 12.4.1905, S. 5]. Dass Heinrich von Puttkamer in Begleitung seiner Gattin war, geht aus einer anderen Pressenotiz hervor: „Generalmajor H. von Puttkammer ist mit Familie aus Grunewald hier eingelangt und hat in Pension ‚Aders‘ Wohnung genommen. Baronin v. Puttkammer ist in Schriftstellerkreisen unter ihrem Pseudonym Marie Madeleine bekannt.“ [Meraner Zeitung, Jg. 39, Nr. 46, 16.4.1905, S. 2]
Geehrter Herr Wedekind,
ich habe es Ihnen absolut nicht übel genommen, daß Sie
neulich nicht kommen konntenDie Verabredung mit Wedekind, zu der er nicht erschien, war vermutlich am 30.3.1905 angesetzt, nach der letzten Vorstellung seines „Hidalla“-Gastspiels am Intimen Theater in Nürnberg, denn Wedekinds Tagebuch enthält unter diesem Datum nach dem Eintrag der Vorstellung den Vermerk „Maria Madelaine v. Putkammer“ und am 31.3.1905 reiste er bereits zurück nach München. Insofern dürfte die Verabredung auf diesen Termin an einem der Tage zuvor erfolgt sein (Wedekind traf am 23.3.1905 in Nürnberg ein). Marie Madeleine, die bald darauf nach Meran reiste, wo sie den vorliegenden Brief schrieb, dürfte sich in Nürnberg aufgehalten haben, da ihr Drama „Das bißchen Liebe“ dort am Intimen Theater uraufgeführt werden sollte [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 29, Nr. 328, 30.6.1905, Abend-Ausgabe, S. (2)]..
Aber es hat mir leid gethan.
Ich wollte Ihnen ein | GedichtDas Gedicht Marie Madeleines ist nicht ermittelt. aufsagen, welches eine
Antwort ist auf Ihre VerseWedekind dürfte Marie Madeleine bei einer flüchtigen Begegnung in Nürnberg Ende März 1905 (bei der man wohl das Treffen am 30.3.1905 verabredete) sein Gedicht „An eine grausame Geliebte“ [KSA 1/I, S. 638], das ursprünglich „Kathja“ (1896) hieß [vgl. KSA 1/I, S. 374f.], unter diesem Titel zur Kenntnis gegeben haben. Die Titeländerung in „An eine grausame Geliebte“ erfolgte für den Abdruck in der Sammlung „Die vier Jahreszeiten“ (ausgeliefert Mitte Juni 1905). In Betracht gezogen hatte Wedekind eine Rezitation des Gedichts im Intimen Theater in Nürnberg bereits für den 31.3.1904 [vgl. KSA 1/II, S. 946], ein Jahr zuvor also. „an eine grausame Geliebte“.
Ça sera pour une autre fois
alors.Übersetzung: „Das bleibt dann für ein anderes Mal.“
Aber dann sagen Sie mir nicht wie in Ihrem Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Wedekind an Marie Madeleine von Puttkamer, 30.3.1905., daß Sie
ein Verehrer von mir „als Künstlerin“ sind.
Das kann ich nicht ausstehn.
Ich liebe es, daß man von mir persönlich ein Verehrer
ist. Ça | me chauffe et c’est bien, car j’ai toujours si froid.Übersetzung: „Das erhitzt mich, und das ist gut so, denn mir ist immer so kalt.“
Adieu. Wenn ich mal in liebenswürdiger Laune bin, werde ich
Ihnen das Gedicht von der grausamen Geliebtendas oben bereits erwähnte Gedicht Marie Madeleines. schicken, die ihre süßen,
hochhackigen Stiefel (aus weißem Leder mit Blumen aus schwarzem Lack) auf Ihren
Cäsarenschädel stellen will.
Marie-Madeleine,
Prinzessin auf KyprosDer Zusatz zum Nom de Plume verweist nicht etwa auf die Insel Zypern (und auch die Prinzessin ist eine Fiktion), sondern auf die erotischen Gedichte, die die Lyrikerin berühmt gemacht haben, die als Marie Madeleine veröffentlichte (und unter ihrem Pseudonym auch den Brief an Wedekind schrieb). Der Zusatz verweist explizit auf ihre erfolgreiche erotische Lyriksammlung „Auf Kypros“ (1900), die zahlreiche Auflagen erlebte (der Titel spielt an auf die antike Liebesgöttin Aphrodite, als deren Geburtsort Zypern gilt). Dieser Band begründete ihren Ruf als umstrittene Skandalautorin, die in leidenschaftlichem Gestus sexuelles Begehren beschrieb, gerade auch in seinen tabuisierten Formen wie lesbischer Liebe oder in heterosexueller Hinsicht in sadomasochistischen Phantasien..