Schloß Lenzburg 5 August 1890
Lieber Bebi!
Heute Morgen erhielt ich von Mama die Erlaubniß dich
meine Ferien, welche von nächstem Montagden 11.8.1890. an noch 4 7 WochenDie Ferien endeten demnach am 29.9.1890. dauern,
bei dir, das heißt in München zu verbringenDonald Wedekind hielt sich vom 13.8.1890 bis zum 17.9.1890 bei seinem Bruder in München auf: „Am 13. August kam Donald von Lenzburg mit einer Anzahl Neuigkeiten. […] 17. Sept. Donalds Abreise von München.“ [Tb]. Nun muß ich natürlich zuerst
wissen, ob du die nächste Zeit in München bleibst oder nicht, ferner ob es dir
überhaupt genehm ist, wenn ich dir Gesellschaft leiste. Ich verstehe darunter
natürlich nicht, daß ich dir immer auf der Bude sitzen würde, auch nicht, daß
ich dich in deiner Urlaubszeit in Anspruch nehmen würde, sondern nur, daß ich
unter deiner Führung die Sehenswürdigkeiten absehe und das Münchner Leben
kennen lerne. Das Zimmer würde ich natürlich besonders haben. Du würdest mir
auch einen großen Gefallen tuhnSchreibversehen, statt: thun., würdest du mir ungefähr die Kosten der ganzen
Tour, Reise hin und zurück, Aufent Zimmer für 7 Wochen, Essen und
Vergnügen eingeschlossen, also Alles zusammen, schreiben, was dir ein leichtes
| sein wird, da du ja schon langeFrank Wedekind wohnte, nach seiner Münchner Studienzeit vom Wintersemester 1884 bis Sommer 1886, seit dem 5.7.1889 wieder in München. dort lebst. Berechne Alles zu normalem Preis.
Ich werde deine Angaben dann mit dem mir zugestandenen vergleichen und die
Reise demgemäß an Dauer kürzen oder verlängern. Komme ich dir nicht gelegen,
oder hattest du einen andern Plan im Kopfe, so schreibe mir das ganz einfach
und ich werde meiner Reise ein anderes Ziel geben. Allerdings wäre mir eine
Münchner Fahrt das angenehmste. Antworte in jedem Fall so bald als möglich und
scheue die Verantwortlichkeit deiner Preisangabe nicht, ich spreche dich ganz
frei. Vor einigen Tagen feierten Wälti und die HerzogDer Literatur- und Musikkritiker Dr. phil. Heinrich Welti, der in Aarau die gleiche Schule besucht hatte wie nach ihm Frank Wedekind, führte ihn während dessen Studienzeit in das kulturelle Angebot Münchens ein und heiratete am 31.7.1890 die Opernsängerin Emilie Herzog (sie hatte inzwischen ein Engagement in Berlin): „Fräulein Emilie Herzog vom Königlichen Opernhause hat sich, wie wir den ‚Münch. N. N.‘ entnehmen, mit Herrn Musikschriftsteller Dr. Heinrich Welti vermählt.“ [Berliner Börsen-Zeitung, Nr. 355, 1.8.1890, Morgen-Ausgabe, S. 9] In den „Münchner Neuesten Nachrichten“ war am 31.7.1890 gemeldet worden (im Vorabendblatt einen Tag vordatiert): „(Frl. Emilie Herzog,) welche allen Münchnern von ihrer hiesigen Thätigkeit am Hoftheater noch in bester Erinnerung steht, hat sich mit Herrn Musikschriftsteller Dr. Heinrich Welti vermählt. Unsere herzlichsten Glückwünsche!“ [Münchner Neueste Nachrichten, Jg. 43, Nr. 347, 1.8.1890, Vorabendblatt, S. 4] in Aarburg ihr
Hochzeitsfest. WillyWilliam Wedekind war mit seiner Frau Anna Wedekind (geb. Kammerer) im September 1889 nach Südafrika ausgewandert und dort zunächst als Farmer tätig [vgl. Vinçon 2021, Bd. 2, S. 19]. reussirthat Erfolg, kommt an. im allgemeinen nicht gut und sendet nächstdem
wahrscheinlich seine Frau und sein KindWilliam und Anna Wedekinds Tochter Anna Wedekind war am 14.4.1890 in Johannesburg geboren. bald hierher. Also bitte, antworte mir
so bald du kannst und sei herzlich gegrüßt von deinem Bruder
Donald