München 17. Juni 1915.
Lieber verehrter Herr Harden!
Glauben Sie bitte nicht, daß ich die große Bevorzugung, die
Sie mir am 24. April am Nachmittags Ihres VortragesMaximilian Harden hatte am 24.4.1915 in München einen Vortrag gehalten, den Wedekind nicht besuchen konnte [vgl. Wedekind an Maximilian Harden, 23.4.1915]. durch Ihren ausführlichen
lieben Briefvgl. Maximilian Harden an Wedekind, 24.4.1915. zuteil werden ließen, nicht in vollem Maße zu schätzen wußte. Aber
seit jener Zeit verschob sich meine Entlassung aus der KlinikWedekind, der einer zweiten Blinddarmoperation wegen seit dem 14.4.1915 in der Klinik war, in der Privatheilanstalt Josephinum (Schönfeldstraße 16) [vgl. Adreßbuch für München 1915, Teil III, S. III], notierte am 9.6.1915: „Aus der Heilanstalt Josephinum entlassen, fahre mit Tilly nach Haus.“ [Tb] immer von einer
Woche zur andern. Heute bin ich seit acht Tagenseit dem 9.6.1915 (siehe oben). zu Haus, kann ausgehen aber
immer noch mit zwei | Wunden im Leib die stark absondern. Dies ist der erste
Brief, den ich schreibe um Ihnen, verehrter Herr Harden für Ihre lieben Worte
und Ihre weitblickenden Mitteilungen, die seitdem alle bestätigt wurden zu
danken. Wollen Sie mir jetzt eine Bitte erlauben. Seit einem halben Jahr
arbeite ich an einem Drama, das nur den Zweck hat die diplomatischen
Verhandlungen Bismarcks in den Jahren 1863 ‒ 66, so wie sie uns historisch überliefert sind, in aufführbare
Scenen zu konzentrieren. Wollen Sie mir die Freude machen, Ihnen | diese Arbeit
in der Buchausgabe, die voraussichtlich im HerbstDie Buchausgabe „Bismarck. Historisches Schauspiel von Frank Wedekind“ im Verlag Georg Müller konnte, vordatiert auf 1916, erst „im Dezember 1915 ausgeliefert werden.“ [KSA 8, S. 691] erscheinen wird, widmenDie gedruckte Widmung in der Buchausgabe von „Bismarck“ lautet: „Maximilian Harden in größter Verehrung gewidmet“ [KSA 8, S. 154]. zu
dürfen. Die bis jetzt erschienenen zwei ersten BilderWedekinds Drama erschien unter dem Titel „Bismarck. Bilder aus der deutschen Geschichte“ in der von Efraim Frisch herausgegebenen Monatsschrift „Der Neue Merkur“ (Georg Müller Verlag in München) im Zeitschriftenvorabdruck [vgl. KSA 8, S. 683, 685-687, 689-691]. Die ersten zwei von später insgesamt acht Bildern in fünf Akten lagen vor, das Erste Bild „Bismarck und Karolyi. 24. November 1863“ [vgl. Der Neue Merkur, Jg. 2, Heft 1, April 1915, S. 1-12], in der Buchausgabe: „Bündnis. 24. November 1863“ [vgl. KSA 8, S. 157], und das Zweite Bild „Die Londoner Konferenz. 17. Mai 1864“ [vgl. Der Neue Merkur, Jg. 2, Heft 2, Mai 1915, S. 129-137]. des Stückes werde ich mir
erlauben Ihnen in den nächsten Tagen zuzusenden. Wenn Sie auch das übrige
gelesen haben, mögen Sie dann über die Annahme der Widmung entscheiden.
Übrigens fehlen mir infolge der Krankheit bis jetzt noch die letzten zwei Akte
die natürlich die Hauptsache sind.
Ihrer verehrten Frau Gemahlin, bitte ich Sie für die
freundlichen Wortenicht überliefert. Selma Isaac, die Lebensgefährtin von Maximilian Harden, dürfte auf Tilly Wedekinds Brief an sie vom 3.6.1915 geantwortet haben; in diesem Brief, der auch Hardens letzten Brief [vgl. Maximilian Harden an Wedekind, 24.4.1915] anspricht, schrieb Tilly Wedekind: „Frank hat sich auch seinerzeit über Herrn Harden’s Brief so sehr gefreut. Verzeihen Sie wenn er noch nicht selbst antwortet, er ist immer noch in der Klinik und bedarf noch sehr der Schonung. Er ist täglich einige Stunden ausser Bett und macht die Heilung stetige, wenn auch sehr, sehr langsame Fortschritte.“ [Martin 1996, S. 118], die sie | an meine Frau zu richten die Güte hatte, meinen
allerherzlichsten Dank zu sagen. Wie sehr Sie selber unter dieser schauerlichen
Zeit leiden steht mir lebendig vor Augen. Dabei darf sich angesichts der
Schrecknisse, die die Welt verwüsten, bei Keinem eine Klage hervorwagen. Und
die Aussicht, daß Sie Ihrer geistigen FesselnMaximilian Harden stand unter dem Druck der Zensur, der sich ihm gegenüber, auch was seine Vortragstätigkeit anging, in der zweiten Jahreshälfte 1915 verstärkte. endlich entledigt werden, täglich
geringer.
Mit ergebensten Empfehlungen an Ihre verehrten DamenSelma Isaak, die Lebensgefährtin von Maximilian Harden, und die gemeinsame Tochter Maximiliane Harden. und
herzlichen Grüßen von meiner Frau und mir
Ihr getreuer
Frank Wedekind.