Kennung: 3523

Hamburg, 31. August 1912 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Tilly

Inhalt

HOTEL HAMBURGER HOF

AM JUNGFERNSTIEG IN SCHÖNSTER LAGE HAMBURGS
TELEFON GRUPPE 3, Nr. 1660, 1661, 1662, 1663, 1664, 1665
REISEBUREAU DER INTERNATIONALEN SCHLAFWAGEN-GESELLSCHAFT IM HOTEL.


HAMBURG 36, den 31. August 1912.


Geliebteste Tilly!

Eben bin ich im Begriff mich fürs TheaterWedekind notierte am 31.8.1912: „Eröffnungsvorstellung des neuen Thaliatheaters.“ [Tb] Er war unter den Gästen der Festvorstellung zur Eröffnung des Neubaus des Thalia-Theaters (Direktion: Max Bachur) in Hamburg, bei der sein Einakter „Der Kammersänger“ gespielt wurde (nach einem Festspiel von Otto Ernst sowie Einaktern von Goethe und Paul Heyse). Sie begann um 19 Uhr und war angekündigt: „Thalia-Theater. Sonnabend, 31. August 1912. [...] Fest-Vorstellung zur Eröffnung des neuen Hauses. Der Einzug. Festspiel von Otto Ernst. Die Laune des Verliebten. Ein Schäferspiel in Versen und einem Akt von Goethe. Unter Brüdern. Lustspiel in einem Akt von Paul Heyse. Der Kammersänger. Drei Szenen von Frank Wedekind. [...] Sonntag, 1. September. [...] Wiederholung der Fest-Vorstellung. Der Einzug. Die Laune des Verliebten. Unter Brüdern. Der Kammersänger.“ [Hamburger Nachrichten, Jg. 121, Nr. 408, 31.8.1912, Morgen-Ausgabe, 1. Beilage, S. (4)] umzuziehen. Bis Göttingen war gesternWedekind notierte am 30.8.1912: „Fahrt nach Hamburg Treffe vor dem Theater Jeßner und die Franck-Witt, wir begleiten sie nach Hause. Essen bei Siechen zu Abend.“ [Tb] Er war nach Hamburg gereist, traf dort vor dem Thalia-Theater den Regisseur Leopold Jeßner und die Schauspielerin Käthe Franck-Witt, beide im Ensemble des Thalia-Theaters [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 459f.], und war abends mit Jeßner im Restaurant Siechen. schönes Wetter, dann goß es wieder. Vom Bahnhof fuhr ich direkt ins Theater wo ich nur noch Jeßner antraf. Die Probe war eben zu Ende und wir gingen zusammen zum Abendessen. Es stellte sich heraus, daß die beiden Vorstellungen Erdgeist und Musik in Berlin offenbar gar nicht stattgefundenDie Presse hatte gemeldet, es würden nach dem Wedekind-Zyklus vom 1. bis 16.6.1912 am Deutschen Theater zu Berlin weitere Vorstellungen von „Erdgeist“ und „Musik“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters stattfinden (was nicht der Fall war): „Nach dem großen Erfolg des Wedekind-Zyklus wird ‚Erdgeist‘ wieder in den Spielplan aufgenommen. Die Lulu spielt Gertrud Eysoldt, Eduard v. Winterstein den Dr. Schön.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 418, 17.8.1912, Abend-Ausgabe, S. (3)] „Außer dem ‚Erdgeist‘ wird auch Wedekinds ‚Musik‘ wieder in den Spielplan des Deutschen Theaters aufgenommen. Das Werk erscheint am nächsten Mittwoch in den Kammerspielen. – Eduard v. Winterstein spielt zum ersten Male die von Wedekind gespielte Rolle des Professors Reißner, Camilla Eibenschütz die Rolle der Klara Hühnerwadel.“ [Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 430, 24.8.1912, Morgen-Ausgabe, S. (3)] hatten. Den Artikel SchlenthersPaul Schlenther hatte für das „Berliner Tageblatt“ über die Gastspielvorstellung von „Hidalla“ im Rahmen des Wedekind-Zyklus vom 1. bis 16.6.1912 am Deutschen Theater zu Berlin einen Artikel veröffentlicht, in dem er Wedekind als Schauspieler lobt und den Theatern sein Werk zusammenhängend zu inszenieren empfahl: „Es würde sich doch lohnen, nicht bloß in einer Juninotbesetzung einmal Wedekinds Gesamtwerk nach der Reihe vorzustellen. Vom Ganzen würden aufs Einzelne lichtende Strahlen fallen.“ [P.(aul) S.(chlenther): Der Zwergriese. In: Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 281, 5.6.1912, Morgen-Ausgabe, S. (2)] kannte er gar nicht, dagegen wurde Schlenther für heute selber erwartetPaul Schlenther kam nach Hamburg und schrieb für das „Berliner Tageblatt“ zwei Artikel, den einen über das üppige Festmahl im Anschluss an die Festvorstellung mit seinen rund 300 Gästen (darunter Wedekind) [vgl. P(aul) S(chlenther): Ein Hamburger Theaterfest. In: Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 447, 2.9.1912, Montags-Ausgabe, S. (2-3)] den anderen über die Festvorstellung zur Eröffnung des Thalia-Theaters [vgl. Paul Schlenther: Hamburgs theatralische Sendung. In: Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 453, 5.9.1912, Abend-Ausgabe, S. (1)].. Nachdem wir mit einigen Schauspielern zusammengesessen trennten wir uns um ein Uhr. Heute früh war um halb zehn Uhr ProbeWedekind notierte am 31.8.1912: „Kammersängerprobe.“ [Tb] Das war die Generalprobe für die Vorstellung abends als Finale der Festvorstellung im Thalia-Theater (siehe oben): „Der Kammersänger. Drei Szenen von Frank Wedekind. In Szene gesetzt von Herrn Leopold Jessner.“ [Hamburgischer Correspondent, Jg. 182, Nr. 443, 31.8.1912, Morgen-Ausgabe, S. 4] Die Titelrolle des Gerardo spielte Albert Bozenhard, Schauspieler im Ensemble des Thalia-Theaters in Hamburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 459], der dort bereits Rollen in Stücken Wedekinds gespielt hat [vgl. Seehaus 1973, S. 336, 417]. Die „meisterliche Leistung Bozenhards in der Titelrolle“ von Wedekinds Einakter wurde als eines der Ereignisse „dieses ersten, vortrefflich gelungenen Abends im neuen Hause“ [H.O.: Die Festvorstellung zur Eröffnung des neuen Thalia-Theaters. In: Neue Hamburger Zeitung, Jg. 17, Nr. 410, 1.9.1912, Morgen-Ausgabe, S. (3)] gefeiert. Seine Darstellung und Leopold Jeßners Inszenierung fanden großes Lob. „Den Beschluß bildet ein modernes Werk. Der Kammersänger von Frank Wedekind [...]. Jeßner, um die Einführung Wedekinds in Hamburg verdient, hatte das Stück [...] aus subtilster Einfühlung heraus meisterlich inszeniert. Und ebenso meisterlich war die Darstellung, die es fand. Bozenhard gab die Titelrolle mit überzeugender Schlichtheit, jener Schlichtheit, deren nur der Künstler fähig ist, der auf dem Gipfel seiner Kunst steht. [...] Nach diesem Stück mußte mit den Darstellern Frank Wedekind wiederholt auf der Bühne erscheinen. Aber auch dann noch tobte der Beifall weiter.“ [C.(arl) M.(üller)-R.(astatt): Einweihung des neuen Thalia-Theaters. (Fest-Vorstellung). In: Hamburgischer Correspondent, Jg. 182, Nr. 446, 2.9.1912, Morgen-Ausgabe, S. 1]. Der Kammersänger geht sehr flott, so wie wir ihn spielenFrank und Tilly Wedekind haben den „Kammersänger“ oft gespielt – zuletzt am 24.5.1912 in Nürnberg. Frank Wedekind ist in der Hauptrolle des Gerardo zuerst am 6.10.1900 „im Rahmen eines Gastspiels des Heine-Ensembles in Rotterdam“ [KSA 4, S. 392] aufgetreten.. Ich habe | die feste Überzeugung daß Botzenhardt uns gesehen hat. Er betont Satz für Satz genau wie ich, hat dieselben GebährdenSchreibversehen, statt: Gebärden. und Stellungen. Aber dafür habe ich die Rolle ja gespielt. Die Frank WittSchreibversehen, statt: Frank-Witt. spielt eine ältere HeleneHelene Marowa, weibliche Hauptrolle in „Der Kammersänger“, in der Hamburger Inszenierung gespielt von Käthe Franck-Witt, von der Presse gelobt: „Frau Franck-Witts Helene wirkte im Innersten erschütternd und lebensecht.“ [C.(arl) M.(üller)-R.(Rastatt): Einweihung des neuen Thalia-Theaters. (Fest-Vorstellung). In: Hamburgischer Correspondent, Jg. 182, Nr. 446, 2.9.1912, Morgen-Ausgabe, S. 1] als Du, die Dich nicht kleiden würde aber durausSchreibversehen, statt: durchaus. ernst und echt. Sicherlich ist es die beste Vorstellung die, nachdem wir das Stück gespielt haben herauskommt. Beim Verlassen des Theaters trafen wir PutlitzJoachim Gans zu Putlitz, General-Intendant am Stuttgarter Hoftheater [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 633]. Wedekind hat ihn am 28.6.1908 in Berlin kennengelernt [vgl. Tb] und ihn im Rahmen seines Gastspiels am Stuttgarter Hoftheater vom 6. bis 11.5.1912 dem Tagebuch zufolge am 10.5.1912 („Mittagessen bei Putlitz“) getroffen. und den Intendanten von BraunschweigIntendant des Herzoglichen Hoftheaters in Braunschweig war Egbert von Frankenberg und Ludwigsdorf [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 334].. Erwartet wirdWedekind nennt: Paul Lindau, Oberregisseur und Dramaturg an den Königlichen Schauspielen in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 274], den berühmten Schauspieler Siegwart Friedmann, Otto Beck, Direktor des Stadttheaters in Bonn, wo „Hofrat Otto Beck“ [Neuer Theater-Almanach 1913, S. 332] auch die Oberregie führte, sowie Alex Otto, Regisseur und Schauspieler am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 453]. Das war nur ein kleiner Teil der zur Festvorstellung im Thalia-Theater geladenen Gäste, die auch beim anschließenden Festmahl zugegen waren – einen größeren Teil der rund 300 Gäste zählte Paul Schlenther namentlich auf [vgl. P. S.: Ein Hamburger Theaterfest. In: Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 447, 2.9.1912, Montags-Ausgabe, S. (2-3)]. außerdem Lindau, Sigwart Friedmann, Hofrat Beck, Otto e.ct. Jeßner, die Frank WittSchreibversehen, statt: Frank-Witt. und ich machten darauf einen SpaziergangWedekind notierte am 31.8.1912: „Spaziergang mit Jeßner und Käthe Frank-Witt an der Alster“ [Tb], dem vorliegenden Brief zufolge am Alsterbassin, der Binnenalster (ein See, anschließend an die Außenalster). am Alsterbassin, wobei ich erfuhr daß die beiden quasi verschwägert wird sind indem Jeßner seit 8 Jahren mit der einen der drei Schwestern WittKäthe Franck-Witt (mit dem Schauspieler Anton Franck verheiratet), Schauspielerin am Thalia-Theater in Hamburg [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 460], und ihre Schwestern Hermine Straßmann-Witt (seit 1891 verheiratet), Schauspielerin am Komödienhaus in Berlin [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 297], und Lotte Witt (seit 1906 verheiratet), Hofschauspielerin am Burgtheater in Wien [vgl. Neuer Theater-Almanach 1913, S. 659] – eine davon dem vorliegenden Brief zufolge die Lebensgefährtin von Leopold Jeßner. zusammenlebt. Jeßner und ich gingen darauf zu TischWedekind notierte am 31.8.1912: „Mittagbrod mit Jeßner.“ [Tb]. Dann kaufte ich mir einen sehr billigen RasieraparatSchreibversehen, statt: Rasierapparat. Wedekind notierte am 31.8.1912: „Kauf neuen Rasierapparat.“ [Tb], da ich meinen unbegreiflicher Weise zu Hause | vergessen habe und legte mich darauf nieder und habe jetzt eine Stunde geschlafen. Jetzt ist wieder blauer Himmel so daß ich hoffen kann, daß Ihr gleichfalls schönes Wetter habt und Du zu dem Ausflug nach Tutzing kommst.

Küsse die Kinder und grüße sie von mir und sei selber innigst umarmt und geküßt von Deinem getreuen
Frank.


Morgen AbendIm Deutschen Schauspielhaus in Hamburg wurde am 1.9.1912 um 20 Uhr „Hidalla“ gespielt (Regie: Carl Hagemann): „Deutsches Schauspielhaus. Sonntag, den 1. September 1912. [...] Abends 8 Uhr: Hidalla oder die Moral der Schönheit. Schauspiel in fünf Akten von Frank Wedekind. In Szene gesetzt von Carl Hagemann. Größere Pause nach dem 3. Aufzug. Anf. 8 Uhr. Ende gegen 10½ Uhr.“ [Neue Hamburger Zeitung, Jg. 17, Nr. 409, 31.8.1912, Abend-Ausgabe, S. (8)] Wedekind notierte am 1.9.1912 den Besuch der Vorstellung: „Hidalla im Deutschen Schauspielhaus. Dann mit Hagemann und seiner Gesellschaft.“ [Tb] ist Hidalla. Von Barnowsky habe ich noch nichts gesehen, so und weiß daher nicht ob die Probe in BerlinWedekind hatte sich dem Tagebuch zufolge in München mit Victor Barnowsky, dem Direktor des Kleinen Theaters in Berlin, getroffen, um ein Gastspiel des Kleinen Theaters in Wien zu verabreden – am 10.8.1912 („Barnowsky kommt wir verabreden Wiener Gastspiel“) und am 14.8.1912 („T.St. mit Barnowsky“); das Gastspiel kam nicht zustande, um welches Stück es ging, für das eine Probe in Berlin in Aussicht genommen wurde, ist unklar. Wedekind hat den Direktor in Hamburg dann noch getroffen – Victor Barnowsky kam zur Festvorstellung zur Eröffnung des neuen Thalia-Theaters (siehe oben) am 31.8.1912 nach Hamburg, einer der prominenten Theaterdirektoren, die nach der Festvorstellung auch an dem bis in die Morgenstunden dauernden Festmahl teilnahmen [vgl. P(aul) S(chlenther): Ein Hamburger Theaterfest. In: Berliner Tageblatt, Jg. 41, Nr. 447, 2.9.1912, Montags-Ausgabe, S. (2-3)]. stattfindet.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 22 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Hamburg
    31. August 1912 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Hamburg
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Briefwechsel 1905‒1918. Band 1: Briefe

Autor:
Frank Wedekind, Tilly Wedekind
Herausgeber:
Hartmut Vinçon
Verlag:
Göttingen: Wallstein
Jahrgang:
2018
Seitenangabe:
235-236
Briefnummer:
359
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 320
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 31.8.1912. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (12.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

25.09.2023 15:55