Kennung: 3760

Paris, 4. Juli 1914 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Tilly

Inhalt

GRAND HÔTEL
12. Boulevard des Capucines
Paris


Adresse Télégraphique
GRANOTEL-PARIS
Téléph Central 35 48
35 49 – 35 50


Le 4. Juli 1914.


Innigst geliebte theuerste Tilly!

HerlichenSchreibversehen, statt: Herzlichen. Dank für Deinen lieben schönen Brief vom Donnerstag 2. Julivgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 2.7.1914. Jedes Wort darin ist mir eine Freude. Gestern AbendWedekind notierte am 3.7.1914 den Besuch bei seiner jüngsten Schwester Emilie (Mati) Wedekind, die mit ihrem Mann Eugène Perré in Neuilly-sur-Seine lebte: „Telephoniere mit Mati, fahre zu ihr hinaus Besuche mit ihr la Fete de Neully Les Vaches de Bois Taverne de l’Univers“ [Tb]. war ich bei Mati. Wir gingen zusammen auf den Jahrmarkt von Ney/u/illy und sind Karussel gefahren. Eugene kam erst um Mitternacht von der Reise zurück, so habe ich ihn noch nicht gesehn. Mati ist äußerst vergnügt, ich merkte es schon als sie ans Telephon kam. Dabei erzählte sie | mir Geschichten von ihrem Mann vor denen Dir die Haut schaudern würde. Ich habe ihr nichts von unseren Schwierigkeiten erzählt, besonders da sie am Sonntag also morgen nach Lenzburg fährt. Heute AbendWedekind notierte für den Abend des 4.7.1914: „Diner mit Perres am Boulevard Sebastopol. Follie Marigny Revue Auf Lesbos. Wir fahren in die Brasserie Spiess. Gemütliche Unterhaltung.“ [Tb] werde ich mit beiden zusammen sein.

Ich denke geliebte Tilly ob wir nicht im September vielleicht zusammen auf 8 Tage hierherEine gemeinsame Reise nach Paris wurde nicht realisiert. kommen können. Paris ist wirklich vollkommen für Dich geschaffen, Du würdest hier am meisten profitieren, weil Du den Blick dafür hast. Ich bleibe noch bis zum vierzehnten hier, ziehe aber wahrscheinlich morgen oder übermorgen in ein | anderes HotelHotel Madison (Rue des Petits Champs 48)., denn hier im Grand Hotel ist es entsetzlich. Ich Mati empfahl mir das andere Hotel ich habe aber den Namen noch nicht behalten, ich werde Dir rechtzeitig telegraphieren. Mati freute sich sehr über Deinen Gruß, den ich ihr sofort bestellte, über Annapamelas Briefnicht überliefert; erschlossenes Korrespondenzstück: Pamela Wedekind an Frank Wedekind, 1.7.1914., den sie las und über das Bild von beiden Kindernnicht überliefert; das Foto lag entweder einem der beiden letzten Briefe Tilly Wedekinds oder dem Brief Pamela Wedekinds vom 1.7.1914 bei.. Sie ist lustiger und sieht besser aus als ich sie je gekannt habe, dabei scheint sie in entsetzlich kleinlichen | Verhältnissen zu leben, aber vielleicht gerade deshalb, es wird ihr wohl nicht schwer über der Situation zu stehn. An ihren Otto BertschingerJugendschwarm von Wedekinds jüngster Schwester [vgl. Emilie (Mati) Wedekind an Frank Wedekind, 17.5.1904 und 22.7.1904]. denkt sie wie an einen Halbgott zurück, was ihren Mann aber gar nicht zu genieren scheint.

Ich habe derweil zwei Pakete Zeitungsausschnitte über das Geburtstagsfest erhalten. d/D/en König MenelausNach den Reden auf dem Bankett am 24.6.1914 zu Wedekinds 50. Geburtstag im Bayerischen Hof in München spielte die Kapelle das Couplet „Ich bin Menelaus der Gute“ [vgl. https://portal.dnb.de/audioplayer/do/show/1104280507] (Text von Henri Meilhac und Ludovic Halévy, deutsche Übersetzung von Camillo Walzel und Julius Hopp) aus Jacques Offenbachs Operette „Die schöne Helena“ („La Belle Hélène“, 1864); „mitten in die Stimmung getragener Festlichkeit [...] spritzte das Offenbachsche Couplet: ‚Ich bin Menelaos der Gute – laus der Gute, laus der Gute...‘“ [Mühsam 2003, S. 180] Wedekind fasste es „als Anspielung auf Tillys angebliche Untreue auf und fühlte sich als betrogener Ehemann vor der Festgesellschaft verhöhnt“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 249]. Das Lied war „jedermann geläufig“, erinnerte sich Tilly Wedekind, und meinte: „Irgend jemand muß das arrangiert haben, jemand, dem bekannt war, daß Frank fürchtete, als alternder Ehemann einer jungen Frau lächerlich zu wirken.“ [Wedekind 1969, S. 162] Wedekind notierte am 24.6.1914: „50 Geburtstagsbankett Ich bin der König Menelaus der Gute“ [Tb]. fand ich nirgends erwähnt. Das beruhigt mich einiger maßen, denn ich habe wirklich wenig Lust mich jetzt mit irgend jemandem zu schießen.

Vorgestern Abend war ich in den | Follies Bergere, ein dummes StückWedekind notierte am 2.7.1914: „Follies Berguers Sansculottes Mesdame“ [Tb] – er sah im Pariser Varieté-Theater Folies Bergère (Rue Richer 32) um 20.30 Uhr die Premiere der Revue „Sans culotte, Medames“ von Valentin Tarault, Georges Lignereux und Jean Kolb [vgl. Le Petit Parisien, Jg. 39, Nr. 13760, 2.7.1914, S. 4]. wurde gespielt aber hübsche Kostüme. Ich schlug Mati vor heute Abend noch irgendso wohin zu gehen aber sie hat wenig Sinn dafür. Ich möchte mir jetzt gerne das wichtigste alles ansehen, damit, wenn wir im September hierherkommen, wir nicht erst herumsuchen müssen.

Grüße und küsse die Kinder von mir. Annapamela soll mir wieder einmal einen Brief schreiben. Und jetzt leb wohl geliebte Tilly

Mit innigem Kuß
Dein
Frank

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 5 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Bleistift.
Schriftträger:
Papier. 1 Einzelblatt. 13,5 x 18 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht. 1 Doppelblatt. Seitenmaß 13,5 x 18 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.
Sonstiges:
Die Seiten 1 und 2 befinden sich auf einem Einzelblatt, das von einem Doppelblatt abgerissen ist, und sind oben mit den Ziffern „1“ und „2“ paginiert (hier nicht wiedergegeben). Seite 3 (Beginn eines Doppelblatts) enthält denselben gedruckten Briefkopf wie Seite 1 (nicht wiedergegeben). Die Seiten 1 und 3 haben am unteren linken Seitenrand einen kleinen Textaufdruck („GEORGES MICHAU, GRAN. PARIS“).

Datum, Schreibort und Zustellweg

  • Schreibort

    Paris
    4. Juli 1914 (Samstag)
    Sicher

  • Absendeort

    Paris
    Datum unbekannt

  • Empfangsort

    München
    Datum unbekannt

Erstdruck

Werke in drei Bänden. Band 3: Prosa. Erzählungen, Aufsätze, Selbstzeugnisse, Briefe.

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Manfred Hahn
Verlag:
Berlin: Aufbau-Verlag
Jahrgang:
1969
Seitenangabe:
615-616
Kommentar:
Neuedition: Vinçon 2018, Bd. 1, S. 320-322 (Nr. 471).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 320
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 4.7.1914. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (12.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

25.09.2023 18:11