Kennung: 4086

Berlin, 14. März 1917 (Mittwoch), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Tilly

Inhalt

Hotel Exzelsior 14.III 17

DEUTSCHE GESELLSCHAFT 1914

BERLIN W.8.
WILHELMSTR. 67.


Geliebte Tilly!

Herzlichen Dank für Deine Telegrammenicht überliefert; erschlossene Korrespondenzstücke: Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 7.3.1917, 9.3.1917 und 13.3.1917., die beiden Kartenzwei Postkarten [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 7.3.1917 und 8.3.1917]; eine weitere Postkarte war noch nicht zugestellt [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 9.3.1917]. und den Brief aus Grazvgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 10.3.1917.. Ich schrieb Dir nur deshalb nicht, weil ich fürchtete von Deinen Geschwistern mißverstanden zu werden. Hoffentlich hast Du auch jetzt wieder eine angenehme Reise gehabt. Ich fühle mich sehr wohl. Auf der Reise hierherWedekind reiste am 6.3.1917 nach Berlin: „Abends Fahrt nach Berlin mit Tannhauser, Dr. Kaufmann und Oblt. Mühe.“ [Tb] Er war in Gesellschaft von Heinrich Thannhauser (Holbeinstraße 14) [vgl. Adreßbuch für München 1918, Teil I, S. 764], Mitinhaber der Modernen Galerie Heinrich Thannhauser im Arcispalais (Theatinerstraße 7) [vgl. Adreßbuch für München 1918, Teil I, S. 485], Arthur Kauffmann, „seit September 1913 stiller Teilhaber des Georg Müller Verlags. Mit seinem eingebrachten Kapital stärkte er den unterkapitalisierten Verlag, ruinierte aber durch Wechselschulden 1916/1917 fast das Unternehmen“ [Vinçon 2018, Bd. 2, S. 335], und dem Oberleutnant Ludwig Mühe, seit 1910 Berufsoffizier. fuhr ich mit drei Bekannten zusammen, Kunsthändler Tannhauser, Dr. Kauffmann, der Compagnon von Müller und Oberleutnant Mühe, der mir sagte daß er die Eier aus SimbachDorf am Inn, nahe der österreichischen Grenze gelegen. nicht bekommen | habe. Wir machten es uns so bequem wie möglich und hatten trotz der starken Kälte eine behagliche Reise. FreitagWedekind notierte am 9.3.1917 im Tagebuch mittags seine Probe der Rolle des Dr. Schön mit der Lulu-Darstellerin Maria Orska („Um zwölf Uhr ½stündige Probe mit meiner Partnerin Maria Orska“) und abends seine erste Gastspielvorstellung in der „Erdgeist“-Inszenierung am Theater in der Königgrätzer Straße in Berlin („Vorstellung Erdgeist“). mittag spielten wir in einer halben Stunde meine Scenen durch, so daß die Abendvorstellung eben möglich wurde. Am SamstagWedekind notierte am 10.3.1917 die zweite „Erdgeist“-Vorstellung seines Gastspiels als Dr. Schön und zuvor eine Probe mit der Lulu-Darstellerin Maria Orska: „Sechs Uhr Probe mit Orska von 3 Akt Schluß. Vorstellung Erdgeist“ [Tb]. war dann die KritikTheaterkritiker. im Theater und die Vorstellung verlief ohne Störung. Dann spielte ich MontagWedekind notierte am 12.3.1917 die dritte „Erdgeist“-Vorstellung seines Gastspiels als Dr. Schön: „Erdgeist 3.“ [Tb] wieder. Der Besuch hat sich durch meine Mitwirkung so gehoben, daß die Direktiondes Theaters in der Königgrätzer Straße, Karl Meinhard und Rudolf Bernauer, der in der „Erdgeist“-Inszenierung die Regie führte; mit ihnen hatte Wedekind dem Tagebuch zufolge bis dahin am 8.3.1917 („Besprechung mit Meinhard im Berliner Theater“) und am 13.3.1917 („Habsburger Hof mit Meinhardt Bernauer und seiner Gesellschaft“) gesprochen. auf ihre Rechnung kommt. Am Freitag Abend lud uns Baron Bleichröderder Bankier Hanns von Bleichröder, Maria Orskas späterer Ehemann (Heirat am 12.11.1920 in Berlin, Scheidung 1925), den Wedekind am 9.2.1917 in München kennengelernt hat: „Zum Thee kommen Maria Orska und Herr von Bleichröder“ [Tb]. Er hat Wedekind und die Lulu-Darstellerin Maria Orska nach der „Erdgeist“-Vorstellung (siehe oben) am 9.3.1917 in das Hotel Esplanade (Bellevuestraße 16-18a) eingeladen, wo Wedekind auch dessen Bruder Werner von Bleichröder kennenlernte: „Hotel Esplanade mit Orska und zwei Baronen Bleichröder.“ [Tb] ins Hotel EsplanadSchreibversehen, statt: Esplanade. zum Essen, man konnte aber nur eine Stunde beisammen sein. SonntagWedekind notierte am 11.3.1917 sein Treffen mit zwei Cousins: „Mittag mit Woldemar und Oskar von Wedekind.“ [Tb] Woldemar Wedekind war Kaufmann und Inhaber der Firma (Im- und Export) W. Wedekind und Co. in Hamburg (Catharinenstraße 29/30) [vgl. Hamburger Adressbuch 1917, Teil I, S. 919], Oscar von Wedekind war Kaufmann in Berlin. aß ich mit Woldemar Wedekind und einem anderen Vetter zu Mittag. Woldemar brachte mir | für Dich eine Schachtel mit Chocolade mit und f eine andere für die Kinder. Die Orska gab mir am Samstag Abend ein Flacon Pariser Parfüm für Dich, was in Deutschland nirgends mehr zu haben sein soll. Ich habe die Sachen vorderhand in meinen Schrank gelegt. Gestern begann ichWedekind notierte am 13.3.1917 den Beginn des Diktats seines im Manuskript abgeschlossenen Versdramas „Herakles. Dramatisches Gedicht in drei Akten“ [vgl. KSA 8, S. 870]: „Prolog und Eurytos diktiert.“ [Tb] Das waren die Szenen I/1 („Hermes“) und I/2 („Eurytos“) [vgl. KSA 8, S. 237-244]. Die Diktate zur Herstellung eines Typoskripts waren am 22.3.1917 abgeschlossen. mein neues Stück zu diktieren und werde etwa vierzehn Tage damit zu tun haben. Mittags bin ich immer im Klubin der Deutschen Gesellschaft 1914 (Wilhelmstraße 67). Wedekind war dem Tagebuch zufolge täglich dort und traf sehr unterschiedliche Personen, so am 8.3.1917 Oskar Fried und Karl Gustav Vollmoeller („Mittagessen im Club mit Fried und Vollmöller“), den er am 9.3.1917 wieder traf („Mittagessen im Klub mit Dr. Vollmöller“), am 10.3.1917 Ernst Hardt („Mittag im Club mit Ernst Hardt“), am 11.3.1917 ist niemand vermerkt („Abendessen im Club“), ebenso am 12.3.1917 („Mittag im Klub“); am 13.3.1917 traf er mittags Werner Sombart, Carl Hauptmann, Bernhard Sehring und Olaf Gulbransson („Mittag im Club mit Sombart Carl Hauptmann Ghr. Sehring und Olaf Gulbrandson“) und abends einen Hauptmann („Abendessen im Club mit Hauptmann von Kapp“), am 14.3.1917 August Müller („Abendessen im Club mit Dr. August Müller“). Wilhelm Herzog notierte am 14.3.1917: „Deutsche Gesellschaft 1914: Wedekind, Prof. Sombart. Geh. Rat Koebner. Carl Hauptmann.“ [Tb Herzog] Wedekind hat demnach außer dem im vorliegenden Brief genannten Wilhelm Herzog an diesem Tag im Klub noch Werner Sombart, Otto Max Köbner und Carl Hauptmann getroffen.. Täglich findet sich eine andere Gesellschaft zusammen, Sombart, Carl Hauptmann, Wilhelm Herzog, Olaf Gulbrandson und verschiedene Geheimräteim Tagebuch bis dahin während des Berlin-Aufenthalts als Geheimrat ausgewiesen der Architekt Bernhard Sehring, den Wedekind am 13.3.1917 im Klub traf (siehe oben); am 15.3.1917 und 20.3.1917 traf er dort noch nachweislich den Geheimrat Otto Max Köbner, den er Wilhelm Herzog zufolge auch am 14.3.1917 dort traf (siehe oben)... Gleich am ersten Abend sprach ich der Orska von „Tod und Teufel“. Sie meinte, sie werde die Lisiskadie Prostituiertenfigur aus Wedekinds Einakter „Totentanz“ („Tod und Teufel“); die angestrebte Inszenierung mit Maria Orska in der Rolle der Lisiska wurde nicht realisiert. spielen, wenn eine Aufführung zustande käme, für die sich auch Bleichröder | zu interessieren schien. Seitdem ergab sich aber keine Gelegenheit mehr davon zu sprechen da die zumal da die Direktion mit zwei PremierenPremieren von August Strindbergs zweiteiligem Ehedrama „Totentanz“ (1901) im Theater in der Königgrätzer Straße (Direktion: Carl Meinhard und Rudolf Bernauer). Premiere des 1. Teils in vier Akten war am 13.3.1917, Premiere des 2. Teils „Der Vampyr“ in drei Akten am 14.3.1917 [vgl. Berliner Tageblatt, Jg. 46, Nr. 131, 13.3.1917, Morgen-Ausgabe, 2. Beiblatt, S. (2)]. Maria Orska spielte in der Rolle der Judith „das Jungweiberherz mit seinen Tiefen und Untiefen“ [Fritz Engel: Strindbergs „Totentanz“ I und II. Theater in der Königgrätzer Straße. In: Berliner Tageblatt, Jg. 46, Nr. 135, 15.3.1917, Morgen-Ausgabe, S. (3)]., Strindbergs Totentanz I und II Theil beschäftigt ist. Sobald ich die Direktoren wieder spreche werde ich sie auf „Tod und Teufel“ aufmerksam machen.

Es freut mich sehr, daß Dein Vater die Gefahr glücklich überstandenTilly Wedekinds Vater Eduard Newes in Graz hatte eine lebensgefährliche Lungenentzündung überstanden. hat. Gegen Deine Reise nach PragTilly Wedekind fuhr am 12.3.1917 von Graz zunächst nach Wien und von dort nach Prag zu ihrer Schwester Martha Newes, wo sie den 13.3.1917 verbrachte und von Prag zurück nach München reiste, wo sie am 15.3.1917 eintraf. hätte ich nichts einzuwenden gehabt. Vielleicht fährst Du jetzt noch hin. Die Verpflegung hier will erst studiert sein. Leicht ist es nicht satt zu werden. Es kommt darauf an die Lokale ausfindig zu machen, in denen es noch etwas giebt. Grüße und küsse Pamela und Kadidja herzlich von mir.

Mit herzlichsten Grüßen und Küssen
Dein
Frank.

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 2 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent.
Schreibwerkzeuge:
Feder. Tinte.
Schriftträger:
Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 22 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Der vorliegende Brief wurde nach München geschickt, wo er am 16.3.1917 eintraf [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 16.3.1917 (erster Brief)].

Erstdruck

Werke in drei Bänden. Band 3: Prosa. Erzählungen, Aufsätze, Selbstzeugnisse, Briefe.

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Manfred Hahn
Verlag:
Berlin: Aufbau-Verlag
Jahrgang:
1969
Seitenangabe:
636-637
Kommentar:
Der Brief ist im Erstdruck irrtümlich auf den 14.2.1917 datiert. – Neuedition: Vinçon 2018, Bd. 1, S. 436-437 (Nr. 671).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 320
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 14.3.1917. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (12.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

23.02.2023 22:37