Kennung: 4184

Zürich, 1. Dezember 1917 (Samstag), Brief

Autor*in

  • Wedekind, Frank

Adressat*in

  • Wedekind, Tilly

Inhalt

ELITE-HOTEL ZÜRICH

Nüschelerstrasse 6 Bahnhofstrasse 41


Modernster Comfort der Neuzeit
Fliessendes Kalt- und Warmwasser in allen Zimmern
Appartments mit Bad
Elektromobil am Bahnhof
Telephon 9556
Telegr.-Adr.: Elitehotel


Zweiggeschäfte:
Parkhotel Gemmi
Hotel Waldrand und Pension Regina Kandersteg


Direktion: H. DETTELBACH-EGER


Zürich, 1. Dezember 1917.


Geliebte Tilly!

Gestern nach dem Telegrammvgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 30.11.1917 (Telegramm). schickte ich Dir noch eine Postkartevgl. Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 30.11.1917 (Postkarte).. Heute fällt mir ein, daß die ja wahrscheinlich wieder 6 – 7 Tage braucht um nach München zu gelangen. Also wiederhole ich alles noch einmal. Ich fahre voraussichtlich Ende nächster Woche. Was die Tournee nach Belgienvorgeschlagen von Fritz Horwitz [vgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 24.11.1917]. betrifft, so kann ich natürlich von hier aus nichts bestimmen. Vielleicht sagst Du Herrn Horwitz daß ich im Prinzip damit einverstanden wäre. Ich freue mich sehr darauf „Überfürchtenichtsmit Dir zu spielenFrank und Tilly Wedekind traten nicht mehr zusammen auf; „Überfürchtenichts“ wurde erst posthum uraufgeführt.. Vorgesternam 29.11.1917, an dem Wedekind notierte: „Erdgeistvorstellung im Pfauentheater“ [Tb] – nach seiner „Erdgeist“-Gastspielpremiere am 6.11.1917 im Stadttheater Zürich eine weitere Vorstellung um 19.30 Uhr nun im Pfauentheater: „Im Pfauentheater ist für den Donnerstag eine Wiederholung in gewohnter Weise von Wedekinds ‚Erdgeist‘ angesetzt. Wedekind wird wieder den Dr. Schön spielen. Es ist dies für längere Zeit das letzte Gastspiel Wedekinds an unserer Bühne. Beginn 7½ Uhr.“ [Neue Zürcher Zeitung, Jg. 138, Nr. 2247, 29.11.1917, 1. Morgenblatt, S. (3)] Elisabeth Bergner spielte die Lulu. | war zum letzten Mal Erdgeist. Die Bergner war als Lulu sehr schwach, dagegen als EffieElisabeth Bergner spielte in der am 15.11.1917 im Pfauentheater in Zürich uraufgeführten „Schloß Wetterstein“-Inszenierung, bei der Wedekind die männliche Hauptrolle spielte und Regie führte, die weibliche Hauptrolle Effie. ausgezeichnet. Der Vortrag in Davos ging glatt vonstattenWedekinds „Herakles“-Lesung am 28.11.1917 im großen Kurhaussaal in Davos, veranstaltet von der dortigen Literarischen Gesellschaft, war den „Davoser Blättern“ vom 29.11.1917 zufolge „ein voller Erfolg. Der dicht gefüllte große Kurhaussaal folgte dem prägnanten Vortrag der Herakles-Tragödie in atemloser Spannung.“ [KSA 8, S. 928] Und im Heft vom 8.12.1917: „Wedekind, in kühner, aufrechter Haltung, sprach zunächst in freiem Vortrag den Prolog seiner neuen Tragödie; dann setzte er sich auf dem turmartigen Podium auf einen leichten und mobilen Sessel und wetterte nun durch die Seiten seines schmalen Buches. Federnde Spannkraft hielt seinen Körper in straffer Haltung, packende Energie umriß das Mienenspiel. Draufgängerisch wurden die ersten Szenen durchjagt, kaum ein Atemschöpfen trennte Bild von Bild, dann und wann überschlugen die Finger eine Szene, während rasche Worte die Verbindung herstellten, dann prasselte wieder ungestüm die Wechselrede des meisterhaft geprägten Dialogs. Das dicht gedrängte Auditorium hing lautlos an diesem gebietenden Munde“ [KSA 8, S. 928f.]; die „Davoser Zeitung“ vom 30.11.1917 berichtete: „Frank Wedekind las – bis auf zwei Szenen – den ganzen Herakles, sein neuestes Werk. [...] Er las schnell, fast ohne Pausen, in vorzüglicher Sprachtechnik jedes Wort scharf herausarbeitend [...]. Ein fanatischer Wahrheitssucher sprach zu uns, ein Dichter, der sich seiner hohen sittlichen Aufgabe bewußt ist, der in seinem künstlerischen Ernste keine Konzessionen kennt.“ [KSA 8, S. 928]. Ich habe auch dort das nötigeSchreibversehen, statt: Nötige. für ein eventuelles gemeinsames Gastspiel vorbereitet. Nächsten Donnerstagder 6.12.1917, an dem Wedekind seine „Herakles“-Lesung in Aarau notierte: „Vortrag in Aarau.“ [Tb] Im „Aargauer Tagblatt“ war am 4.12.1917 angekündigt: „Am nächsten Donnerstag findet der zweite der von der Literarischen und Lesegesellschaft veranstalteten Abende für Literatur und Kunst statt und zwar wird Frank Wedekind am Vortragspult erscheinen, um sein Drama ‚Herakles‘ vorzulesen“ [KSA 8, S. 929]. Das „Aargauer Tagblatt“ konstatierte am 7.12.1917 über die Lesung, es bleibe „vom gestrigen Abend wenigstens der fesselnde Reiz der einzigartigen Persönlichkeit Frank Wedekinds, der wieder einmal ganz lebendig geworden ist und uns alle unwiderstehlich in seinen Bann genommen hat.“ [KSA 8, S. 929] ist mein Vortrag in Aarau. Vielleicht noch kurz vorher oder am folgenden Tage einer in BadenEin Vortragsabend Wedekinds in der etwa 20 Kilometer von Zürich entfernten Stadt Baden fand nicht statt.. Gestern Abend sollte Frau Agnes Wedekind Die Sopranistin Agnes Wedekind-Klebe war an der Oper des Stadttheaters in Hamburg (verbunden mit dem Stadttheater in Altona) engagiert [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1918, S. 438].hier in einem Tonhallekonzertein Konzert im Großen Saal der Tonhalle, dem Konzerthaus in Zürich, das am 30.11.1917 (Beginn: 19.30 Uhr) angezeigt war: „Heute Konzert“ der „Kammersänger Fritz Feinhals (Bariton) [...] Heinrich Hensel (Tenor)“ und „Agnes Wedekind (Sopran). [...] Konzertdirektion: M. Kantorowitz, Zürich.“ [Neue Züricher Zeitung, Jg. 138, Nr. 2255, 30.11.1917, 1. Morgenblatt, S. (4)] Das „Konzert Feinhals-Hensel-Wedekind“ war als ein Abend angekündigt, „der ein musikalisches Ereignis zu werden verspricht“, wenn sich „im großen Tonhallesaal Kammersänger Fritz Feinhals (München), Kammersänger Heinrich Hensel (Hamburg) und die Sopranistin Agnes Wedekind (Hamburg) vereinen. Die Künstler sind in der Schweiz bereits [...] auf das Vorteilhafteste bekannt; Kammersänger Hensel, der berühmte Parsifal und Siegfried der Bayreuther Festspiele, war jahrelang der führende Wagner-Tenor [...] in London sowie [...] in New-York. [...] Fritz Feinhals, der gefeierte Heldenbariton der Münchner Hofoper, bedarf ebensowenig wie die Hamburger Sängerin, die kürzlich in der Schweiz [...] mit größtem Erfolg konzertierte, besonderer Einführung. Eintrittskarten zu dem Konzert, für das zudem der ausgezeichnete Münchner Pianist Michael Raucheisen als Begleiter gewonnen ist, sind schon jetzt [...] erhältlich.“ [Neue Züricher Zeitung, Jg. 138, Nr. 2151, 15.11.1917, 2. Mittagblatt, S. (2)] Das „Konzert [...] im großen Tonhallesaal verspricht außergewöhnliche musikalische Genüsse. Kammersänger Hensel aus Hamburg, Kammersänger Fritz Feinhals aus München und die Hamburger Sopranistin Agnes Wedekind vereinigen sich zu einem Gesangsabend und bieten zur Begleitung von Michael Raucheisen Kompositionen von Cornelius und Strauß und Bruchstücke aus Wagnerschen Opern.“ [Neue Züricher Zeitung, Jg. 138, Nr. 2247, 29.11.1917, 1. Morgenblatt, S. (3)] singen, traf aber nicht dazu ein. So traten Feinhals Hensel und RaucheisenDer Kammersänger Fritz Feinhals war an der Oper des Münchner Hoftheaters [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1918, S. 517] und der Opernsänger Heinrich Hensel an der Oper des Stadttheaters in Hamburg (verbunden mit dem Stadttheater in Altona) engagiert [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1918, S. 437], der Kapellmeister Michael Raucheisen als Leiter der musikalischen Morgenaufführungen am Münchner Volkstheater [vgl. Deutsches Bühnen-Jahrbuch 1918, S. 524]. allein auf. NachherWedekind notierte am 30.11.1917: „Abends im Konzert von Feinhals Hensel und Raucheisen. [...] Souper im Hotel Baur en Ville mit der Konzertgesellschaft und Max Hochdorf.“ [Tb] Er soupierte nach dem Konzert in der Tonhalle (siehe oben) mit den Sängern Fritz Feinhals und Heinrich Hensel sowie mit dem Pianisten Michael Raucheisen (siehe oben), außerdem mit Michael Kantorowitz (Dufourstraße 44) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1918, Teil I, S. 286], dessen Konzertdirektion das Konzert organisiert hat, und Max Hochdorf (siehe unten) im Hotel Savoy Baur au Ville (Poststraße 12) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1918, Teil I, S. 255]. war ich mit ihnen, Kantorowitz und Dr. HochdorfMax Hochdorf, Schriftsteller in Zürich (Schulhausstraße 25) [vgl. Adressbuch der Stadt Zürich für 1918, Teil I, S. 245], Dr. phil. (Dissertation 1919 erschienen), 1915 Korrespondent des „Berliner Tageblatt“ in Brüssel, dann kurz in Lausanne und schließlich ab 1916 in Zürich, wo er auch als Musik- und Theaterkritiker tätig war, vor allem aber als Literaturkritiker, der auch für die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb. Wedekind lernte ihn im Sommer 1917 in Zürich kennen und sah ihn dem Tagebuch zufolge recht häufig – so am 19.5.1917 („Nachher im Restaurant Kaufleuten große Gesellschaft Dr. Max Hochdorf“), 24.5.1917 („Wir treffen Max Hochdorf. Begleiten Tilly ins Hotel Seehof mit Dr. Max Hochdorf“), 12.6.1917 („Terasse mit Korrodi und Hochdorf“), 27.6.1917 („Große Kindergesellschaft bei Dr. Hochdorf“) und 26.7.1917 („Dr. Hochdorf“). zusammen.

Herzlichen Dank für Deine beiden lieben Briefevgl. Tilly Wedekind an Frank Wedekind, 22.11.1917 und 24.11.1917.. Ich freue mich sehr auf unser Wiedersehn. Grüße und küsse die Kinder von mir und sei selber innigst geküßt von
Deinem
Frank.


[Kuvert:]


ELITE-HOTEL ZÜRICH
BAHNHOFSTRASSE 41


Eilbrief


I.H.
Frau Tilly Wedekind
München
Prinzregentenstrasse 50. |


Absender
Frank Wedekind
Elite Hotel Zürich

Einzelstellenkommentare

Materialität des Dokuments

Bestehend aus 3 Blatt, davon 4 Seiten beschrieben

Schrift:
Kurrent. Empfängeradresse und Absenderadresse in lateinischer Schrift.
Schreibwerkzeuge:
Bleistift. Feder. Tinte.
Schriftträger:
Liniertes Papier. Doppelblatt. Seitenmaß 14 x 22 cm. Kuvert. 15,5 x 12,4 cm. Mit gedrucktem Briefkopf. Gelocht.
Schreibraum:
Im Hochformat beschrieben. Kuvert im Querformat beschrieben.
Sonstiges:
Der Brief ist mit Bleistift geschrieben. Das Kuvert – mit Tinte beschrieben – ist auf der Vorderseite mit einem farbigen Aufkleber („Express“) versehen und mit zwei aufgeklebten Briefmarken von 50 und 5 Rappen frankiert.

Datum, Schreibort und Zustellweg

Uhrzeit im Poststempel Zürich: „XII“ (= 12 Uhr).

Erstdruck

Gesammelte Briefe. Zweiter Band

Autor:
Frank Wedekind
Herausgeber:
Fritz Strich
Ort der Herausgabe:
München
Verlag:
Georg Müller
Jahrgang:
1924
Seitenangabe:
351-352
Briefnummer:
478
Kommentar:
Neuedition: Vinçon 2018, Bd. 1, S. 481-482 (Nr. 730).
Status:
Sicher

Informationen zum Standort

Münchner Stadtbibliothek / Monacensia

Maria-Theresia-Straße 23
81675 München
Deutschland
+49 (0)89 419472 13

Informationen zum Bestand

Name des Bestandes:
Nachlass Frank Wedekind
Signatur des Dokuments:
FW B 320
Standort:
Münchner Stadtbibliothek / Monacensia (München)

Danksagung

Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.

Zitierempfehlung

Frank Wedekind an Tilly Wedekind, 1.12.1917. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. http://briefedition.wedekind.h-da.de (11.05.2024).

Status der Bearbeitung

In Bearbeitung
Zum Prüfen bereit
Freigegeben

Erstellt von

Ariane Martin

Zuletzt aktualisiert

12.03.2023 09:53