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13
Decembre
Mon cher ami
Je me trouve dans
un grand embarras et je tassure Schreibversehen, statt: t’assure. Henriette Joli, die zwar keineswegs stillos, aber offenbar nach Gehör schrieb (ihre diversen Schreibversehen sind im Folgenden nicht mehr im Einzelnen nachgewiesen), ließ fast durchgehend Apostrophe sowie Satzzeichen aus und begann Sätze in Kleinschreibung; häufig fehlen auch Akzente. que je ne m’attendais pas a cela je
dois 35 frsWedekind notierte am 13.12.1892 in Paris zu dem im Tagebuch eingeklebten Brief seiner „Pariser Freundin Henriette Joli“ [KSA 1/II, S. 1184] und der anschließenden Nacht: „Ich bedaure bei mir, ihr nicht helfen zu können, da ich selber nicht mehr viel habe. Ich [...] gehe in’s Café d’Harcourt. Es ist halb zwei und Henriette jedenfalls schon nach Hause gegangen. [...] Als ich wieder ins Local trete sitzt [...] ihre großen Augen voll dicker Thränen, Henriette an unserm Tisch. [...] Ich sage ihr gleich daß ich ihr die fünf- und dreißig Frs. nicht geben könne.“ [Tb] Wedekind notierte dann am 14.12.1892: „Ich gebe Henriette ihre 40 frs wofür sie mir verspricht mich bis Januar nicht mehr belästigen zu wollen.“ [Tb] a ma proprietairenicht identifiziert. elle m’a fermé la porte et mon
manteauWedekind notierte am 13.12.1892: „Was mir am meisten leid thut, ist daß sie ihren Mantel dagelassen hat, den ich ihr vor drei Wochen gekauft.“ [Tb] était resté dans la chambre | je tavais bien promis de ne plus
rien te demandéWedekind notierte am 8.12.1892 zu einem Gespräch mit Henriette Joli: „Als ich vor drei Monaten nach Paris gekommen sei, hätte ich Geld gehabt. Jetzt sei es anders. Sie sagt, nun gut, nun ich ihr das gesagt habe, werde sie nicht mehr kommen. [...] Sie begleitet mich noch bis zur Seine und sagt beim Abschiednehmen, sie werde nun also nicht mehr kommen.“ [Tb] mais tu sais comme je suis maladeWedekinds Freundin – „die unheilbar lungenkranke Henriette, [...] die er im Hospital besucht, und der er nach ihrem Tode einen Grabstein entwirft“ [Kutscher 1, S. 267] (siehe unten) – dürfte angesichts der Symptome an Tuberkulose erkrankt gewesen sein: „Henriette hat Tuberkulose, spuckt Blut und weiß, dass sie bald sterben wird.“ [Regnier 2008, S. 132] Wedekind notierte am 4.12.1892: „Sie [...] hat sich auf der Treppe in Acht genommen nicht zu husten“ [Tb], und in der Nacht vom 13. auf den 14.12.1892, in der sie mit zu ihm gekommen ist: „Nur einmal erwache ich über ihrem herzzerreißenden Husten. Dabei riecht sie auch schon stark nach Verwesung. Ihr Blutspucken hatte ich angezweifelt. Nun zeigt sie mir die breiten, tiefrothen Spuren in ihrem Taschentuch. Ich sage ihr das käme aus der Nase. Ein Sonnenstrahl erhellt ihr Gesicht. Es wäre ja vielleicht möglich. Sie schneuzt sich mit aller Gewalt, aber es kommt kein Blut.“ [Tb] Es wurde nach ihrem Tod aber auch gemutmaßt, dass sie „mit 26 Jahren an Syphilis starb“ [KSA 1/II, S. 1184], sie sei angeblich an Syphilis erkrankt gewesen, wie Wedekind am 7.1.1894 notierte: : „Marie Louise“ habe ihm „ja seinerzeit auch gesagt, Henriette sei syphilitisch. Sie sagt, daß Henriette syphilitisch gewesen sei, wisse das ganze Quartier. Sie sei ja auch daran gestorben.“ [Tb] surtout depuis
deux ou trois jours je craché le sang j’espère que j’en aurais
bientôt fini avec lavieWedekind notierte am 8.12.1892 zu einem Gespräch mit Henriette Joli: „Bevor sie sterbe gehe sie noch einmal auf den Maskenball.“ [Tb] Sie dürfte Anfang 1893 gestorben sein [vgl. Wedekind an Carl Muth, 29.3.1893]. Wedekinds „Betroffenheit über ihren Tod äußert sich auch in Entwürfen zu einer Inschrift für ihr Grabdenkmal: ‚H.J. Neyant jamais vecu et mourant sans regrets‘ (H.J., die niemals lebte und ohne Reue starb) – ‚mourant sans regrets à l’âge de 26 ans et neyant jamais vecu H.J.‘ (Sie starb ohne Reue im Alter von 26 Jahren, ohne jemals gelebt zu haben. H.J. [...])“ [KSA 1/II, S. 1184f.] Si tu pouvais me rendre encor ce
dernier service je tassure que je te serais bien reconnaissante
alors je tensuplie rend noi ce dernier service je seray bien heureuse
ta pauvre
Henriette qui tembrassé et qui conpte sur toi
Henriette
Si
cela ne tennuie pas apporte le moi au
[Übersetzung:]
13. Dezember
Mein lieber Freund,
ich befinde mich in großen Schwierigkeiten und ich versichere Dir, dass ich damit nicht gerechnet habe. Ich schulde meiner Wirtin 35 Francs. Sie hat mich vor die Tür gesetzt und mein Mantel ist noch im Zimmer. Ich hatte Dir ja versprochen, Dich um nichts mehr zu bitten, aber Du weißt, wie krank ich bin, besonders seit zwei-drei Tagen. Ich habe Blut gespuckt. Ich hoffe, dass ich bald mit dem Leben abgeschlossen haben werde. Wenn Du mir noch diesen letzten Dienst erweisen könntest, versichere ich Dir, dass ich Dir sehr dankbar wäre.
Der Arzt sagte mir, dass ich nicht mehr lange hätte, wenn ich Blut spucken würde.
Also flehe ich Dich an: Erweise mir diesen letzten Dienst. Ich wäre sehr glücklich.
Deine arme Henriette, die Dich umarmt und die auf Dich zählt.
Henriette
Bestehend aus 2 Blatt, davon 3 Seiten beschrieben
Der 13.12.1892 ist als Ankerdatum gesetzt – das Schreibdatum des mit Tag und Monat („13 Decembre“) datierten Briefs, den Wedekind im Tagebuch eingeklebt und im unmittelbaren Kontext (siehe zur Materialität) am 13.12.1892 den „beiliegenden Brief“ notiert hat.
Paris
13. Dezember 1892 (Dienstag)
Ermittelt (sicher)
Paris
13. Dezember 1892 (Dienstag)
Ermittelt (sicher)
13. Dezember 1892 (Dienstag)
Ermittelt (sicher)
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Wir danken der Münchner Stadtbibliothek / Monacensia für die freundliche Genehmigung zur Wiedergabe des Korrespondenzstücks.
Henriette Joli an Frank Wedekind, 13.12.1892. Frank Wedekinds Korrespondenz digital. https://briefedition.wedekind.fernuni-hagen.de (10.12.2025).
Cordula Greinert
Ariane Martin